Mittwoch, 18:28 Uhr.
Ich sitze auf meinem Roller und biege auf den Ring Höhe Babenbergerstraße an den Museen vorbei, die Sonne scheint noch auf den Heldenplatz. Vermutlich bin ich zu zeitig dran, ich befürchte sogar ich werde der erste vor dem VG-Pavillon sein, seit einiger Zeit einer der Treffpunkte. Erster zu sein bei der Mittwochsrunde ist vielleicht lustig wenn man alle anderen beim ankommen sehen will und geduldig die gemeinsame zumeist verzögerte Abfahrt abwarten will. Aber wer den gepflegten Auftritt vor der ganzen bereits fachsimpelnden Gruppe liebt, kommt spät, ja auch sehr spät. Nicht jeder hat eine so kurze Anfahrt wie ich, der ich aus dem Mariahilfer Hipster-Ghetto anrolle. Manch einer sitzt bereits eine Weile auf dem Roller, wenn er beim Ballhausplatz um die Ecke biegt und versucht eine möglichst ‚g’schmeidige‘ Anfahrt aufs Parkett zu legen. Auch wenn man intensivst zu vermeiden versucht den eigenen Auftritt zur Show für das Publikum zu machen, er wird es sowieso. Darüber hinaus entscheidet sich bei einem Neuling schon in diesem Augenblick ob er das Zeug hat in die chaotische Poser-Runde aufgenommen zu werden. Ja, da musste jeder einmal durch, …außer eben er war der allererste am Parkplatz. Heute hab ich Glück, ich bin nicht der Erste.
Fachsimpeln, Schmäh führen, rauchen, kleines Getränk, nochmals rauchen. Circa 20 Minuten nach der geplanten Abfahrtzeit versucht sich der Tross nun in Bewegung zu setzen, Ziel: wie immer kein konkretes, aber raus aus der Stadt. Technische Gebrechen können jetzt sehr peinlich sein (Tecinque alias der Optiker konnte dies in einem Video für die Nachwelt festhalten, Danke Bananen-Robert! Hier geht’s zum Video). Meistens ist in der Aufregung nur irgendeine Kleinigkeit – sowas wie Benzinhahn aufdrehen – vergessen oder überhaupt von einem fürwitzigen Kollegen absichtlich manipuliert worden.
Genau kann sich niemand mehr erinnern wer diese Tradition der Mittwochsrunde eigentlich als Erster ins Leben gerufen hat, aber angeblich war es in den Untiefen der 80er. Was man ganz genau weiß ist, daß es das wandelnde Vespa-Lexikon ‚Signor Rossi‘ (Ch.Höfer) war, der diese illustre Runde von 2-taktbegeisternten Blechpiloten konsequent bei Schönwetter jede Woche zu unterschiedlichen Treffpunkten zusammengetrommelt hat. Und vielleicht war ohnedies er der Begründer, ich glaube schon. Ohne ihn gäbe es diese Runde jedenfalls schon sehr lange nicht mehr. Er selbst ist leider nicht mehr unter uns und sein plötzlicher Tod nach kurzer Krankheit ist uns allen noch sehr schmerzlich in Erinnerung. Trotzdem ist er bei jeder Ausfahrt mit dabei da bin ich sicher und wer weiß, vielleicht nicht nur in unseren Herzen…
Dann geht es nach obligatorischem Tankstellenbesuch endlich wirklich raus aus der Stadt, mal nach Westen, mal nach Süden oder auch mal nach Norden, aber eigentlich nie in Richtung Osten, weil da doch zu wenig Bergerl für uns Kurven-Asse zu finden sind. Außerdem ist der Großteil der Mitfahrer ja von diesseits der Donau. Angesteuert und bevorzugt werden vor allem ruhige, idealerweise etwas verstecktere Pausenplätze, wo die Meute beim Fachsimpeln und Palavern nicht gestört wird (oder eher niemanden stört).
Heute geht’s Richtung Dopplerhütte hab ich gehört (zumindest glaube ich das – sicher kann man sich da nie sein, nachdem immer einer das Vorfahren übernimmt und alle anderen einfach hinterherfahren). Nachdem der Wirt dort ja seit geraumer Zeit nicht mehr geöffnet hat und sich unter der Woche kaum Motorradfahrer dort hin verirren, ist es immer wieder ein halbwegs beliebtes Ziel der Runde. Obwohl das eigentliche Ziel auch oder vor allem in der Hin- und Rückfahrt selbst liegt. Selten ist der Weg zum Ziel nämlich direkt; meistens wird ein interessanter und schöner Umweg gewählt, so kommen auch mal mehr Kilometer zusammen. Und eben diese Momente sind es, die jeder für sich unter dem Helm genießen kann, weil einmal nicht das Alltags-Programm oder Arbeit im Vordergrund steht sondern ganz im Gegenteil, die Gedanken sind auf den Roller, die Straße, den Verkehr, die anderen Roller, ausschließlich auf das Fahren in der Gruppe ausgerichtet. Man ‚muß‘ sozusagen einmal in der Woche alles andere abschalten, außer dem Moment, dem Jetzt. Ja, auch das ein oder andere Handy wird sogar ausgeschaltet, Telefonieren während der Ausfahrt bzw. den Pausen tun aber ohnedies die wenigsten (freiwillig).
Und siehe da, alle sind heute am Ziel-Parkplatz angekommen. Wir haben noch nicht einmal jemanden im Verkehr oder irgendwo im Wald verloren auf der Hinfahrt, sowas kommt schon mal vor.
Kaum angekommen, wird von einem Smallframe-Besitzer schon eifrig der Vergaser umgedüst. Denn kaum gibt der 2-taktsüchtige Großstädter außerhalb der Stadt ein wenig Gas, da offenbart sich schonmal die Fehleinstellung am Gerät, im schlimmsten Fall mit einem Kolbenreiber, was auch schon des öfteren mittwochs beobachtet wurde, um nicht zu sagen oft. Aber heute wird rechtzeitig optimiert so scheint es, lediglich die unentbehrlichen Tips der anderen rundherum behindern jetzt den Bastelnden.
Ein mitgebrachter Snack ist nie eine schlechte Idee, bei den meisten bleibt’s aber bei einem Getränk. Dabei werden die unterschiedlichsten Philosophien ausgetauscht, obschon das Rollerthema die Themenvielfalt dominiert. Ich halte mich heute einmal argumentativ zurück und genieße einfach nur die Aussicht. Das Tullner Becken liegt vor uns, weltbekannt für die schönsten Sonnenuntergänge und als im romantischen Gegenlicht 2 Blackhawks in Langenlebarn landen, wird mir wieder bewusst, wie wichtig es ist, auch mal unter der Woche raus zu kommen.
Meistens ist es schon dunkel und empfindlich kühler geworden wenn die Runde langsam ans Aufbrechen denkt. Manchmal wird zum Abschluss noch die gemeinsame Nahrungsaufnahme in einem erprobten oder zumindest erreichbaren Lokal beschlossen, aber heute eher nicht. Auf alle Fälle geht’s wieder zurück, recht zügig. Obacht ist angesagt, denn alte italienische Roller sind ja für vieles bekannt, aber ganz sicher nicht für die Performance ihres Scheinwerferlichts. In der Stadt verabschiedet sich dann einer nach dem anderen aus der Runde, manche haben fast bis nachhause den gleichen Weg und bilden Gruppen. Nocheinmal Zeit für alle die Sommernacht in Wien zu genießen, die Häuser und Straßenlaternen vorbeiziehen zu lassen und den ein oder anderen Kavalierstart an der Ampel hinzulegen.
Auf den letzten Kilometern des Nachhausewegs ist der eigene Wunsch eigentlich immer der gleiche: selbstverständlich alle verbleibenden Mittwochsrunden dieses Jahr mitzufahren.